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„Verhaftet, gefoltert und schließlich verkauft“

Berliner Ehepaar litt unter dem System der DDR und berichtete davon

Sie hatten einen großen Bus im Gepäck, der als „Demokratiebus“ für die Konrad-Adenauer-Stiftung, Re-gionalbüro Westfalen unterwegs ist. Sie, das war das Ehepaar Manuela und Gerd Keil, wohnhaft in Berlin-Ost. Das „Ost“ sei an dieser Stelle betont, da es um die DDR-Vergangenheit der beiden Personen gehen sollte.

Sie erzählten den anwesenden Schülerinnen und Schülern der Jgst. 10 in Form eines Gespräches über ihre Kindheit in dem sozialistischen Teil Deutschlands der 1960er und 70er Jahre sowie den politischen und persönlichen Umbrüchen der Wendezeit. Den Zuhörern boten sie damit spannende Einblicke in eine für sie fremde Zeit, eine Zeit ihrer Eltern und Großeltern. Und tatsächlich folgten die Schülerinnen und Schü-ler den Vortragenden aufmerksam und neugierig. Der folgende Blick in die Geschichten der beiden Keils ist stark gekürzt. Am Ende kann sich der Zuhörer (oder Leser) nur abwenden von jeglicher Ostalgie und die heimliche Seite der vergangenen sozialistischen SED-Diktatur sehen.

Ehepaar Keil in der Aula zusammen mit Moderatorin Kerstin Mewes

Manuela Keil, geboren 1960, wuchs in einem, wie sie selbst sagt, „linientreuen Elternhaus“ in Berlin-Friedrichshain auf, das dem jungen Leser eher durch das „Berghain“, einem weitbekannten Club, geläu-fig sein dürfte. Ihre Eltern waren fester Bestandteil des sozialisti-schen Systems DDR. Mit 18 Mona-ten gaben die Eltern die kleine Manuela in das Wochenheim, einer Kinderbetreuungseinrich-tung, in der Kinder montags um acht Uhr abgegeben wurden und am Freitag um achtzehn Uhr abge-holt werden durften. Manches Kind verbrachte auch Wochenenden und Feiertage in der Einrichtung.

Hier wurde Manuela also von fremden Personen rund um die Uhr erzogen. Das geschah natürlich im so-zialistischen Sinne: Die Kinder sollten zu „sozialistischen Staatsbürgern“ zur Stärkung der DDR heranwach-sen. Manuela Keil, damals noch Horn, durchlief das Wochenheim, bis sie sechseinhalb Jahre alt war. Ab da an fühlten sich ihre Eltern wieder verantwortlich.

In dieser Zeit, so berichtete Frau Keil in der Aula, stellte sie eine Entfremdung zu ihren Eltern fest; ihre El-tern waren ihr fremd geworden. Es fehlte an einem grundlegenden Vertrauen. Dazu kam die Strenge, die die Eltern ihr gegenüber walten ließen. So wurden beispielsweise die Abendessen nicht gemeinsam abge-halten. Der Brotteller musste mit auf das Zimmer mitgenommen werden, es gab keine Unterhaltung am Tisch, um Erlebnisse des Tages auszutauschen oder Pläne zu schmieden.

Manuela Keil schloss die Polytechnische Oberschule (POS) ab und folgte dem Vorschlag der Mutter, eine Ausbildung zur „Facharbeiterin für Fernschreibverkehr“ zu machen. Gerne wäre sie Erzieherin geworden. Dann ging sie auf Anraten der Mutter in den Staatsdienst und wurde Sachbearbeiterin bei der Kripo.

Schüler des Jg. 5 bei einer Aktion des Demokratiebusses

Neben der Entfremdung mit den Eltern haderte Frau Keil auch mit dem sozialistischen System, in das sie so stark eingebunden war. Die Wen-de in 1989 legte dann dieses Problem offen. Frau Keil war innerlich zerrissen, bedurfte lange Zeit therapeutischer Begleitung. Allein in ihrer Tochter, die in der Nacht des Mauerfalls am 9. November zur Welt kam, fand sie Lebenssinn.

Gerd Keil, geboren 1963, hat eine parallele Kindheitsgeschichte. Ebenfalls in Berlin-Frie-drichshain aufgewachsen, stammt auch er aus einer sozialistisch eingestellten Familie. In einer schwierigen Phase, in der die Eltern gesund-heitlich angeschlagen und beruflich einge-spannt sind, muss der zweijährige Gerd für ein Jahr ins Kinderheim. Die Zeit prägt ihn, weil man dort von ihm Haltung und Ordnung auf Kommando verlangt, damit auch er ein „guter sozialistischer Staatsbürger“ wird.

Nach dieser prägenden Zeit zieht die Familie um in eine Plattenhaussiedlung Berlins. Der Sechsjährige ist neugierig, möchte viel wissen, hinterfragt auch schon. Den Eltern ist das zu viel.

So kommt es zur ersten Begegnung mit der sozialistischen Staatsmacht: Zusammen mit einer Freundin gelangt Gerd unverhofft an die Berliner Mauer. Hinter ihnen stehen Grenzsoldaten mit dem Maschinen-gewehr im Anschlag. Es folgen Festnahme und Verhör über Stunden.

Gerd Keil beginnt später eine Ausbildung als Elektromonteur bei der Berliner S-Bahn. Als er 17 Jahre alt ist, werfen ihn seine Eltern aus der Wohnung, weil er nach einer Party erst morgens nach Hause gekom-men ist.

So findet er Unterschlupf bei einer Freundin und die Verbindung zu einer kirchlichen Jugendgruppe, in der über die Lage der DDR offen diskutiert wird. Keil wird zum Fluchthelfer, indem er Menschen beher-bergt, die aus dem Staat flüchten wollen, weil sie offiziell nicht ausreisen können und dürfen.

Durch einen Verwandten verpfiffen, steht eines Tages die Stasi vor seiner Tür und nimmt ihn fest. Er kommt in das Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen, wo er täglich verhört und gefoltert wird. Schließlich folgt das Gerichtsurteil zu vier Jahren Haft wegen staatsfeindlicher Hetze und Republikflucht. Nach drei Jahren Haft wird er 1989 durch die Bundesrepublik in den Westen freigekauft.

Sein Urteil: Solch ein heuchlerisches System, eine solche Diktatur darf es nie wieder geben!

Dafür ziehen Manuela und Gerd Keil durch das Land, vor allem durch Schulen, um davon zu berichten und zu mahnen.