Allgemein

Hanni geht – ein Raubein ist in Rente

Neunundzwanzig Jahre. So lange war Hanni Egeling am Gauß. Ich musste mir das diverse Male auf der Zunge zergehen lassen. Zum Vergleich: Ich bin beim Schreiben dieser Zeilen 34 Jahre alt. Ich war noch im Kindergarten, als Hanni hierhin gekommen ist. Die meisten unserer Schüler*innen werden keine 20 sein, wenn sie von der Schule abgehen. Selbst Frau Spitzenfeil bringt es ‚nur‘ auf 28 Gauß-Jahre. Herr Regge immerhin noch auf 27.

Und jetzt ist sie fort.

Bis hierhin liest es sich ein wenig wie ein Nachruf, weshalb ich dringend die Kurve kriegen muss. Denn der Grund für Hannis Weggehen ist ein fröhlicher: Sie darf sich endlich in die wohlverdiente Rente verabschieden!

Schauen wir also einmal, wer diese Hanni Egeling überhaupt ist. Tatsächlich fängt es bei ihrem Namen bereits an. Bis gerade wusste ich nicht, wie sie wirklich heißt. Frau Spitzenfeil hat es mir vor einer Minute am Telefon verraten: Hanifa. Ungewohnt. Ich bleibe ‘mal bei Hanni, wenn das für alle okay ist.

Ich kann mir kaum vorstellen, dass es einen Menschen am Gauß gibt, über den das liebevolle Sturmtief Hanni noch nicht hinweggedonnert ist. Selbst an und für sich unbeteiligte Zeugen konnten sich bisweilen kaum entziehen und sind gelegentlich mit in den Wirbelsturm hineingeraten. Vermutlich hat sie bereits jedem und jeder mit ihrem Mopp wenigstens einmal Tod und Teufel angedroht, weil Stühle nicht vernünftig hochgestellt worden waren oder ein Meer aus Papierschnippseln über die Böden der Klassenräumen wogte. Im Zweifelsfall lehrt Hanni alle das Fürchten, egal ob Schüler oder Lehrer.

Selbstredend kann dieser Text auch nicht ohne ihr Markenzeichen auskommen. Ich kann mich nicht mehr 100%ig an die Situation erinnern, als es mich das erste Mal erwischte. Doch ich weiß noch, dass ich vollständig konsterniert war, als mich, meines Erachtens nach völlig unverdient, der gellende Ruf „SCHUHE AUS!“ peitschengleich in den Rücken traf. Wie bitte? Was hatte ich falsch gemacht? Was wird hier geschossen? Muss ich wirklich?

Nein, musste ich nicht. Erst im Nachhinein ist mir bewusst geworden, dass ich offiziell initiiert worden war. Ich war jetzt Teil des Gauß. Hanni hatte es besiegelt. Ich finde es ein wenig schade, dass dieses unkonventionelle Ritual wohl nun ein Ende finden wird. Denn, und auch das ist allgemein bekannt, war Hanni bis zum heutigen Tag die höchste Instanz der Schule. Dinge wie Amtseid, Urkunde oder unwesentliche Abstrakta wie die Weisungsbefugnis der Schulleitung verblassen neben der natürlichen Autorität der Hanni Egeling.

Ihr glaubt mir nicht? Dann habt ihr nie den Gang nach Canossa bzw. in Hannis Kabuff angetreten, weil ihr wieder einmal vergessen hattet, die abendliche Veranstaltung in der Aula bei ihr anzumelden. Klar, natürlich wart ihr bei Herrn Kaupert oder bei Frau Spitzenfeil. Natürlich habt ihr die Eltern ordentlich per Brief informiert. Aber fuck, ihr habt Hanni vergessen … Und dann gnade euch Gott bzw. die Göttin!

Denn schlussendlich waren meist sie und Sefgi es, die hinter euch abschließen mussten weit nach ihrer eigentlichen Arbeitszeit. Überhaupt haben die beiden oft mehr getan, als sie gemusst hätten. Ungezählte Festlichkeiten wären kulinarisch deutlich weniger opulent ausgefallen, hätte nicht zuletzt Hanni ihre Kochkünste in den Ring geworfen. Hunger musste unter ihrer Obhut niemand leiden. Bei ihr hätte man immer etwas bekommen.

Zu Hannis Qualitäten zählt überdies jedoch auch ihre unvergleichliche Art von Geselligkeit. Ich kann mir vorstellen, dass an dieser Stelle einige Leute schmunzeln, weil sie genau wissen, wovon ich rede. Mir persönlich geistert gerade eine Geschichte durch den Kopf, die ich selbst zwar nicht erlebt habe, die mir aber der geschätzte ehemalige Kollege Robert Zurheiden (Grüße an dieser Stelle!) erst letzte Woche noch einmal erzählt hat. Sie ist leider nicht zitierfähig, aber alle, die schon eine Pause oder gar einen ganzen Nachmittag in Hannis Kabuff, Verzeihung, in Hannis Reich verbracht haben, können sich vorstellen, wovon ich spreche.

Und das ist vermutlich, was ich an Hanni und Sefgi so mag. Sie sind einfach Teil der Gang und nicht ‚die Reinigungskräfte‘, die irgendwie die Schule putzen, ohne dass jemand Notiz davon nähme oder man sich einmal mit ihnen unterhielte. Klar, ab und zu zetern und schimpfen sie mit einem, aber nie boshaft und, seien wir ehrlich, ab und zu hat man auch einmal einen auf den Deckel verdient, weil man die Klasse wieder wie einen Saustall hinterlassen hat.

Mich macht es ohnehin schon immer fuchsteufelswild, wenn Leute (nicht nur die Kids an unserer Schule) teils achtlos ihren Müll ins Treppenhaus oder sonstwohin fallen lassen – irgendwer wird ihn ja schon wegmachen. Irgendwer wird ja schon dafür bezahlt. Es ist aber eben nicht ‚irgendwer‘, der hinter einem herräumt – es ist Hanni und die ist nicht unsere Dienstmagd.

Hanni ist ein Mensch, den ich sehr schätzen und lieben gelernt habe. Hanni ist nicht perfekt und man kann auch amtlich mit ihr aneinander geraten. Hanni hat ein Leben gelebt, von dem viele vermutlich nichts wissen. Wenn sie es täten, verstünden sie vielleicht, woher diese Frau trotz allem Motzen und Meckern ihren unerschütterlichen Optimismus nimmt.

Und jetzt ist sie fort. Und ich, wir, wünschen ihr nur das Beste.